3.6.2011;
Das Jubiläums- WGT ist fast schon wieder vorbei, doch anlässlich des runden Geburtstags begann es in diesem Jahr bereits einen Tag früher. Während in den vergangenen Jahren lediglich eine Eröffnungsveranstaltung in der Moritzbastei für Unterhaltung der ersten angereisten Gäste sorgte, startete in diesem Jahr ein Jubiläumskonzert auf der AGRA, dem quasi Hauptveranstaltungsort. Bands, die schon auf dem ersten WGT auftraten, spielten in der Halle auf dem alten AGRA-Messegelände. Entgegen meinen ersten Vermutungen, es werde eine gemütliche Veranstaltung mit einer überschaubaren Zahl von Besucherinnen und Besuchern, erwies sich dies als grandiose Fehleinschätzung. Zweifelsfrei die Headliner des Abends: Das Ich und Goethes Erben. Wobei die Freude über das begonnene Jubiläums-WGT durch die Nachricht getrübt wurde, Stefan Ackermann von Das Ich könne wegen einer sehr schweren Erkrankung nicht auf der Bühne stehen.
Von den 20 Treffen erlebte ich gut die Hälfte mit und mittlerweile stellt sich eine Art Festivalmüdigkeit ein ;-), gut der günstige und zentrale Wohnort macht es leicht, zu sagen: ach, das muß ich aber nicht ansehen. Natürlich mit dem Nachteil, daß nicht immer so tief Festivalatmosphäre genossen werden kann. Manch Plan und so einige persönliche Highlights werden durch diese Überheblichkeit zum kleinen Reinfall. So geschehen am Samstag. Mein Pflichtkonzert des Tages erwies sich als eine Enttäuschung – was weniger an der Band an sich lag, mehr an den Gegebenheiten – ROME im Felsenkeller. Tagelange Vorfreude wandelte sich am Abend blitzschnell in die Einsicht: tja, heute ist wohl nicht der Tag für ein tolles Konzert. Dicke Luft im Saal und zu viele Menschen darin sorgten für die starke Ausprägung eines Fluchttriebs. Auch nicht besonders schlimm, denn was ist das WGT? Eben, ein Treffen und so trifft man zu günstigen Zeiten tatsächlich ungeplant alte Bekannte und Freunde. Was wiederum für anders verlaufende Abende sorgt. Im nur einen Steinwurf vom Felsenkeller entfernten Victor Jara eine kleine, angenehme Überraschung – der dunkelromantische Tanzabend zog ein wirklich angenehmes und zugleich toll gekleidetes Publikum an. Nebenbei auch WGT-Prominenz, so konnte ich einen der WGT-Gründer unter den Abendgästen entdecken. Aufgefallen ist er keinem, denn bekannt ist er in der Szene nicht mehr. Seine Popularität schwand wohl mit der Pleite des WGT im Jahr 2000 ;-). Aber auch im Victor Jara wurde die Luft dick, der Platz weniger und so hieß es leider schon wieder: Rückzug! Mit den steigenden Besucherzahlen ist eben auch eine größere Besucherdichte in den vielen Veranstaltungsorten zu bemerken. Für das kommende WGT soll nun endlich der schon lange schwebend Vorsatz umgesetzt werden, doch lieber die unbekannten Sachen zu besuchen. Auswahl gibt es während des WGT schließlich genug. Auch in diesem Jahr hört man aus den Mündern der Schwarzgewandten viele Sprachen klingen und man wird sich wieder bewusst, was für eine Besonderheit das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig doch ist. Das Schwarzvolk bevölkert wegen der über die Stadt verteilten Veranstaltungsorte die halbe Stadt, bestimmt in der Innenstadt zeitweise das Stadtbild, stellt Parkplätze rund um die AGRA zu und sorgt für viel menschliche Nähe in Straßenbahnen der Linie 11. Dennoch nehmen es die meisten Leipzigerinnen und Leipziger relativ gelassen – die variantenreich gekleideten Schwarzen gehören eben zu Pfingsten zu Leipzig. Ich glaube in Deutschland oder gar in Europa gibt es nicht viele Städte, in denen sich ein derartiges Treffen hätte in dieser Form entwickeln können. Diese von Anbeginn an entgegengebrachte Toleranz wissen die aus aller Welt Angereisten durchaus zu schätzen. Einige aus dem Dunkelvolk wollten am Samstag eine kleine Aktion „Danke Leipzig für 20 Jahre WGT“ durchziehen, was daraus geworden ist??? Auf der anderen Seite gibt es auch Leipziger, die an WGT-Besucherinnen Blumen verteilen und eine schöne Zeit beim WGT in Leipzig wünschen.
Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe haben die Logistik des Besuchertransports voll im Griff. Neben dem verdichteten Takt der Straßenbahnlinie 11 fährt in diesem Jahr zum zweiten mal die Festivalsonderlinie 31. Tja, die Gruftis lassen seit Jahren die Autos stehen und fahren Öffentliche.
Wie schon die Jahre zuvor wird das WGT auch in diesem Namen seinem Spitznamen „Schwarzer Karneval“ gerecht. Viele Outfits erscheinen wie Kostüme, die unsicher von ihren Trägerinnen und Trägern auf dem städtischen Laufsteg zur Schau getragen werden. Der heilende Blick in den Spiegel scheint von einigen Personen gemieden zu werden – das Ergebnis davon sind visuelle und ästhetische Scharfschützenangriffe aufs Auge. Stellvertretend sein an diese Stelle die Dame mit rudimentärem Minirock und Netzstrumpfhose genannt, die ihren überaus reichlich vorhandenen Po zur Schau trug. Respekt vor so viel Selbstbewußtsein gegen das heute gültige Schönheitsideal mit Taten anzukämpfen. Schön ist das nicht wirklich.
Zum Glück gibt es eben auch die vielen ansehlich gekleideten Damen und Herren.